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GlotzGedanken: Was Scott McCloud mit Hornbach zu tun hat
Am 25. Juli 2010 im Topic 'GlotzGedanken'


Die aktuelle Hornbach-Werbung sorgte schon vor ihrer Erstausstrahlung im Fernsehen für jede Menge Wirbel. Tierschutzverbände überschlugen sich geradezu mit Vorwürfen der Tierquälerei. So etwas dürfe man nicht ausstrahlen, etc. Gebracht haben die Proteste wenig bis gar nichts, gesendet wird der Spot tagtäglich in so ziemlich allen Werbeblöcken.

Doch warum eigentlich die ganze Aufregung? Man sieht in dem Werbespot zwei fleißige Handwerker, die gerade Bretter auf einer neuen Terasse/Veranda anbringen. Sie befestigen diese Bretter mit Schrauben.

Plötzlich jedoch wird das Tütchen mit den letzten Schrauben von einer Kuh verspeist. Die beiden Handwerker reagieren jedoch mit einer Mischung aus Überraschung und Schock - schließlich können ihre Hände ihr Werk ohne diese Schrauben nicht vollenden.

Was tun? Warten , bis die Kuh das unverdaute Schraubentütchen wieder freigibt? Wer in Biologie aufgepasst hat, weiß, dass Kühe im Inneren ihres Leibes mehrere Mägen besitzen - vier Stück, um genau zu sein. Der natürliche Weg würde den beiden Burschen, die in Gedanken mit Sicherheit schon das erste kühle Feierabendbier durch die staubige und ausgedörrte Kehle fließen ließen, dann vermutlich aber doch zu lange dauern. Ob Auftragsarbeit oder eigenes Bauherrenprojekt - eine solche stundenlange Unterbrechung ist für die beiden vollkommen inakzeptabel.

Was passiert? Der Blick der beiden (und durch eine entsprechende Kamerabewegung auch der der Zuschauer) fällt auf eine Kettensäge, mit der sie zuvor vermutlich die Terassenbretter auf Maß zugeschnitten hatten.

Dann blendet die Kamera über zu einer "Landschaftsaufnahme" des Hauses, an dem sich die Verande befindet und man hört das unverkrennbare Geräusch einer (Kreis-)Säge. Anschließend wird wieder zu den beiden Handwerkern übergeblendet, die gerade die letzte Schraube im letzten Terassenbrett versenken. Von der Kuh mit ihren seltsamen Essgelüsten ist nichts mehr zu sehen. Es ertönt das Hornbach-typische Yippie-Yah und der Spruch "Es gibt immer was zu tun" wird angezeigt.

Was ist passiert? Man weiß es nicht, da man es nicht gesehen hat. Der Zuschauer interpretiert aufgrund verschiedener Signale (Kameraschwenk auf die Säge, Sägengeräusch aus dem Off) die Handlung jedoch so, dass die beiden Handwerker mit ihren Händen ein recht blutiges Werk verrichtet und die Kuh zersägt haben, um wieder an das Plastiktütchen mit den Schrauben zu gelangen.

Ob dies jedoch wirklich passiert ist, erfährt man nicht, da die Werbung an der entscheidenden Stelle ausblendet und eine Leerstelle lässt, die dann vom Zuschauer gefüllt wird. Comicautor- und theoretiker Scott McCloud bezeichnet dieses Verfahren, mittels dessen der Leser eines Comics den leeren Raum zwischen zwei Bildern/panels eines Comics, den sogenannten "gutter" oder "Rinnstein", mit Sinn füllt und so den erzählerischen Zusammenhang zwischen den Bildern herstellt, in seinem Buch Comics richtig lesen. Die unsichtbare Kunst als Induktion. An folgendem Beispiel erklärt er seine These:



Quelle: McCloud, Scott. Comics richtig lesen. Die unsichtbare Kunst. Hamburg: Carlsen-Verlag, 2001. S. 74.

McCloud hat das Verbrechen, den Mord, nicht gezeigt - nur angedeutet. Den Mord an sich hat der Leser mittels Induktion im gutter zwischen den beiden panels ausgeführt. Der Leser selbst hat zwischen den panels die erhobene Induktionsaxt in das Fleisch des Opfers sinken lassen.

Genau des gleichen Prinzips bedient sich auch die Hornbach-Werbung. Die Säge und das Geräusch werden gezeigt. Der Rest ist eine Leerstelle - statt der Landschaftsaufnahme, die letztendlich nichts anderes als ein filmtechnischer gutter ist, könnte auch ein schwarzes oder weißes Bild gezeigt werden, Effekt und grundlegendes Prinzip blieben weiterhin gleich.

Mit der Idee der Induktion im Hinterkopf erscheint die Kritik der Tierschutzverbände noch pathetischer als sie es ohnehin schon ist, denn schließlich wird nichts Tierquälerisches gezeigt. Der Moment, in dem womöglich eine Kuh getötet wird, da sie zwei Handwerkern bei der Erreichung ihres Zieles im Weg steht, erzeugt der Zuschauer per Induktion selbst.

Ob die Kuh jetzt wirklich portionsgerecht zerlegt wurde oder ob die beiden Arbeiter doch noch genügend Schrauben hatten und mit der Kettensäge lediglich ein weiteres Brett zurechtgesägt haben, lässt der Werbespot mit der Landschaftsüberblendung völlig offen. Und eine fiktive Kuh mit Hilfe von Induktion zu töten, ist keine Tierquälerei im Gegensatz zu Legebatterien und Stopfleberzüchtung.

Jedenfalls, Tierquälerei hin oder her, ist Induktion ein sehr interessantes Phänomen, dass uns auch im Alltag hilft, Zusammenhänge zwischen verschiedenen Dingen herzustellen. In Comics ist es geradezu gattungskonstituierend und im Film, wozu auch Werbespots gehören, taucht es manchmal eben auch auf.

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