TiRos Blog
Samstag, 10. Juli 2010
PoliTick: Demografie und neue Herausforderungen
Am 10. Juli 2010 im Topic 'PoliTick'


Demografie - so nennt sich das Schreckgespenst, das in den letzten Jahren für jedes Problem verantwortlich ist oder zumindest dafür verantwortlich gemacht wird. Die Deutschen bekommen zu wenig Kinder, deshalb wird und muss es gesellschaftliche Veränderungen geben.

Heute Abend war ich auf einer Versammlung der evangelischen Kirchengemeinde Wahlschied-Holz, zu der (warum auch immer) Göttelborn mit dazugehört. Thema war dort die angespannte Finanzlage der Kirchengemeinde, die aufgrund der demografischen Entwicklung (immer mehr alte Gemeindemitglieder sterben, es kommen nur wenig junge nach) zukünftig noch schlimmer werden wird. Um dem entgegen zu wirken, hat das Presbyterium eine Gebäude-Analyse durchführen lassen - immerhin leistet sich die verhältnismäßig kleine Kirchengemeinde drei Kirchen, ein Pfarrhaus, ein großes Gemeindehaus sowie eine Kindertagesstätte. Insbesondere die drei Kirchen stellen dann, auch nach Meinung der beauftragten Experten, eben doch ein wenig zu viel Luxus dar.

Ein Vorschlag, der kaum überraschte, besteht darin, die evangelische Friedenskirche in Göttelborn zu verkaufen oder sonstwie loszuwerden. Aktuell findet dort ein einziges Mal im Monat an einem Sonntagmorgen ab 9:00 Uhr der Gottesdienst statt. Wenn dann neben Pfarrer, Organist und Küsterin drei weitere Personen erscheinen, ist das schon ein voller Erfolg. Ich selbst gehe höchstens mal zu Weihnachten in den Gottesdienst - das gebe ich auch gerne zu.

So leid es mir um die Kirche, von der ich nur zwei Häuser entfernt wohne, tun würde, so sehr bin ich dann doch Realist bzw. Skeptiker. Und deshalb habe ich nach der Versammlung mir und anderen die Frage gestellt: Warum sollen wir diese Kirche erhalten? Und für wen? 18.000 € jährlich (und ein Investitionsstau von 120.000 €) für 3,5 Personen im Monat, 42 Personen im Jahr? Ein klares: Nein! Dann soll dieses Geld doch bitte besser und sinnvoller in die Kita in Wahlschied gesteckt werden, die Kinder profitieren eher davon.

Die evangelische Friedenskirche ist jetzt 43 Jahre alt, erst vor drei Jahren haben wir das 40-jährige Jubiläum groß gefeiert. Schon damals war abzusehen, dass es mit dieser Kirche auf lange Sicht nicht weiter gehen wird. Wie auch, wenn die Alten nicht und die Jungen nicht nachkommen?

Von den derzeitigen KonfirmandInnen ist meine Schwester die einzige aus Göttelborn - und die lässt sich lieber in Fischbach konfirmieren, weil dort all ihre Freundinnen sind.

Auch das zeigt ein Problem der Kirchengemeinde: Göttelborn gehört zur Gemeinde Quierschied, die restlichen Teile der Kirchengemeinde gehören zur Gemeinde Heusweiler. Außer dieser zufälligen Kirchenbezirksgrenze verbindet uns Göttelborner nichts mit Wahlschied, noch weniger mit Holz. Die fiktive Kirchenbezirksgrenze ist, meiner Meinung nach, mehr als merkwürdig und hat sich als anachronistisch erwiesen. Stattdessen wäre es wesentlich sinnvoller, Göttelborn in die Kirchengemeinde Quierschied-Fischbach einzugliedern, immerhin gehören wir verwaltungstechnisch zur Gemeinde Quierschied (wenn wir auch die Illinger Telefonvorwahl haben und in Merchweiler einkaufen) - das wäre wesentlich sinnvoller und praktikabler. Die Gemeinde Quierschied-Fischbach hat zwar auch kein Geld und schließt selbst eine Kirche, die in Quierschied, aber egal.

Ich sehe nicht, wie man das Problem der Demografie lösen könnte. Wir werden in einer immer säkulärer werdenden Gesellschaft die Menschen, insbesondere die jungen, wohl kaum dazu bekommen, in die Kirche einzutreten. Da leidet die Evangelische Kirchengemeinde Wahlschied-Holz am gleichen Strukturproblem wie der Kaninchenzuchtverein Göttelborn, der auch keine jungen Mitglieder mehr bekommt, weil heute kein junger Mensch mehr Kaninchen züchten will. Eines als Haustier halten vielleicht noch - aber eine Zucht eröffnen? Das ist dann doch Bauernhofromantik von vorgestern, die heute nur noch ein sentimentales Lächeln hervorrufen kann. Das soll nicht heißen, dass die Kirchengemeinde ein Kaninchenzuchtverein ist (oder umgekehrt), aber beide leiden an dem selben Problem: Junge Menschen interessieren sich heute für andere Dinge als vor vierzig Jahren. Weder Religion nach Kaninchenzüchten wecken heute noch großartiges Interesse, dafür haben Fuß- und Volleyball, Karnevalsverein und das JUZ einen stetigen Zulauf, weil sie auf Dauer für junge Menschen interessant bleiben. Der Ski- und Wanderclub sowie die vielen Tennisvereine haben wiederum das Problem, dass ihre große Zeiten lange vorbei sind - da ändert auch Benny Becker nix dran.

Ich will hier auch niemanden verurteilen und fände es auch falsch, wenn das von Seite der Betroffenen passieren würde. Wenn die Jugendlichen sich heute nicht mehr für Tennis, Religion oder Kaninchenzüchten interessieren, dann darf man nicht nur über die Jugendlichen schimpfen. Stattdessen sollte man sich auch mal auf sie einlassen. Vielleicht spielt ja keiner Tennis mehr, weil der Verein nur noch aus Auswärtigen besteht und sich insgesamt ziemlich elitär und hochnäsig gibt. Mit Champagner am selbst-isolierten Dorffeststand imponiert man Jugendlichen mit Sicherheit nicht. Und mit langweiligen Gottesdiensten auch nicht. Tennis für Jedermann und lockere Jugendgottesdienste bringen dagegen evtl. mehr Jugendliche dazu, mal vorbeizuschauen. Für den Kaninchenzuchtverein weiß ich jetzt gerade selbst keine Lösung, ein solches "Hobby" (sofern man es überhaupt als solches bezeichnen kann), ist extrem aufwändig, zeitintensiv, teuer und erfordert sehr viel Verantwortung von einem jungen Menschen - vlt. würde man manch einen schlichtweg damit überfordern und ohne eigenen Garten geht das sowieso nicht.

Ich bin bei diesem Thema auch für Zusammenarbeit, wenn nicht sogar für Zusammenschluss. Wenn der Tennisclub auf lange Sicht selbst nicht überlebensfähig ist, sollte er vlt. darüber nachdenken, sich mit dem Sportverein zusammenzuschließen und als Sparte Tennis des Sportvereines weiter zu existieren. Damit gibt man natürlich Selbstständigkeit auf, sichert aber die Überlebensfähigkeit. Bei der Kirche ist das nicht ganz so einfach, aber warum arbeitet man nicht stärker mit der katholischen Kirche zusammen (oder versucht es zumindest) und führt mehr ökumenische Gottesdienste durch. Warum nicht sogar mit der sehr offenen und integrationswilligen türkisch-islamischen Gemeinde hier in Göttelborn. Wir wissen schließlich spätestens seit Lessings berühmter Ringparabel, dass die drei großen Religionen letztendlich so viel nicht unterscheidet. Vlt. ja auch mal ein ökumenischer Jugendgottesdienst im JUZ - mit Gitarre und Gospel.

Wenn man jedoch nur im eigenen Saft schmort, dann wird man irgendwann ungenießbar. Dies gilt auch für Parteien. Wenn ich von den GenossInnen aus meinen Vorstand höre, dass wir vor zwanzig Jahren auch ohne Infostand gewonnen haben, dann muss ich mich doch beherrschen. Da hat manch einer den Schuss nicht gehört. Heute ist nicht mehr vor zwanzig Jahren, Menschen interessieren sich für andere Dinge und müssen auch anders angesprochen und anders interessiert werden als dies vor zwanzig Jahren der Fall war. Und natürlich gewinnt man auch mit einem simplen Infostand keine Wahl - da hilft es schon eher, alle Göttelborner Haushalte zu besuchen, wie wir dies im letzten Jahr getan haben. Dass die SPD durch die Jusos inzwischen auf dem Dorffest, dem Weihnachtsmarkt, dem Gauditurnier, dem Ortspokalschießen, etc. omnipräsent ist, schadet bestimmt auch nicht. Und dass wir örtlichen Bands und Künstlern eine Plattform für ihre Auftritte bieten und somit etwas für die (Dorf-)Kultur tun, gab es so bis vor ein paar Jahren auch nicht. Ein Seminar der SPD Saar trägt den sehr guten Titel "Neue Veranstaltungsformen braucht das Land" - so ist es! Und das trifft von der Partei über die Kirche bis zum Tennisclub auf alle Vereine und Vereinigungen zu.

Mein Aufruf an die Vereine lautet deshalb: Seid mutig, geht neue Wege, macht euch interessant. Wenn Dinge "schon immer so waren" (*kotzwürg*), sind sie zu 90 % schlecht und MÜSSEN geändert werden! Damit kann man nicht jeden Verein retten. Manch ein Verein passt jedoch vlt. auch gar nicht mehr in die heutige Zeit - das ist zwar schade, aber die Menschen ändern sich eben. Und dann tritt man vlt. doch lieber in Würde ab, statt sich als Vereinigung der Miesepeter zu verewigen.

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