TiRos Blog
Donnerstag, 17. Juni 2010
GlotzGedanken: TV-Werbung... und ein wenig Horrorfilm-Theorie
Am 17. Juni 2010 im Topic 'GlotzGedanken'


Wie man schon in meinem ersten (richtigen) Blogeintrag lesen konnte, mag ich gut gemachte Werbespots, bei denen man merkt, dass sich die Verantwortlichen Gedanken über ihren Spot und dessen Aussage gemacht haben. Ein weiteres Paradebeispiel für gute Werbung möchte ich hier mit einem kurzen Abstecher in die Horrorfilm-Theorie bzw. -geschichte in Verbindung bringen.

Es geht um die aktuelle Werbung des Internet-Schuhversandhauses zalando.de, zu sehen hier.

Ein verstörter und paranoider junger Mann filmt sich mit einer Kamera selbst, das Bild fällt oft aus und er weist das Publikum auf die Gefahren hin, die entstehen, wenn Frauen zalando.de entdecken. Als der Postbote dann noch ein Mal klingelt, bricht er in hysterisches Angstgeschrei aus, während seine Freundin Freudenschreie von sich gibt.

Die Werbung funktioniert deshalb so gut, weil sie ganz bewusst eines der eher moderneren Mittel des Horrorfilms zitiert. Es handelt sich dabei um das Genre der sogenannten "found footage", etwa: gefundenes Filmmaterial, dass insbesondere durch The Blair Witch Project (1999) auch dem breiten Kinopublikum bekannt wurde, spätestens seit Cloverfield (2008) oder z.B. Quarantine (2008) dürfte es endgültig nicht mehr als Handwerkszeug moderner Horror-Regisseure wegzudenken sein.

Dadurch, dass das Filmmaterial den Anschein erweckt, von Laien mit einer normalen Handtaschenkamera gedreht worden zu sein, wirkt es besonders "echt" und "authentisch". Mal ist das Bild verwackelt, was man als "shaky cam" bezeichnet, mal ist alles unscharf, die Kamera womöglich sogar beschlagen, oder mit welchen Flüssigkeiten auch immer bespritzt.

Die Kamera zeigt immer die subjektive Sicht einer einzigen Figur und somit immer nur einen kleinen Ausschnitt des gesamten Geschehens, wodurch sie verwandt ist mit der Kategorie des personalen Erzählers in der Prosa-Analyse, der, z.B. in einem Roman, die Handlung ebenfalls nur aus seiner subjektiven und eingeschränkten Sicht wiedergibt. Einmal mehr zeigt sich hier die Verwandtschaft von Film und Prosa. Aber dies nur als Randbemerkung, hier geht es schließlich um Horrorfilme, nicht um Erzähltheorie.

Obwohl das Genre der "found footage" insbesondere in den letzten zehn Jahren besonders beliebt und erfolgreich ist, ist es doch schon 30 Jahre alt. Als Urvater des Genres gilt der Film Cannibal Holocaust (1980, auf Deutsch: Nackt und zerfleischt) von Regisseur Ruggero Deodato, in dem ein Anthropologe die Kamera eines Filmteams findet, auf deren Filmmaterial zu sehen ist, wie die vier Forscher auf brutalste Art und Weise von Kannibalen ermordert und zerfleischt werden. Unter Horrorfilmfreaks gilt die Pfählszene bis heute als einer der brutalsten aber auch besten Szenen überhaupt.

Der Film löste damals eine aus heutiger Sicht kaum zu fassende Kontroverse aus, die letztendlich sogar vor Gericht endete. Ruggero Deodato wurde beschuldigt, dass Material sei tatsächlich echt, die vier Schauspieler seien wirklich ermordet worden, er habe einen sogenannten "snuff film" gedreht. Ein Mordprozess begann. Dass Deodato mit den vier Schauspielern einen Vertrag abgeschlossen hatte, wonach sie sich ein Jahr lang in keinem Film, keiner Werbung oder einem anderen Medium zeigen durften, machte die Sache für ihn natürlich nicht leichter. Doch bevor der Prozess zu weit ausuferte, trommelte Deodato seine "Stars" zusammen, präsentierte dem Gericht die vier quicklebendigen Mimen und löste dann auch noch das Geheimnis hinter der berüchtigten Pfählszene auf. Damit gab sich das Gericht dann zufrieden, da damit bewiesen war, dass es sich bei aller Brutalität doch nur um ein Werk der Fiktion handelte. Wegen der im Film zu sehenden Gewalt gegen Tiere, die tatsächlich eigens für den Film getötet wurden, wurde der Film dann jedoch trotzdem beschlagnahmt bzw. indiziert, was erst 1984 wieder rückgängig gemacht wurde.

Die zalando.de-Werbung blickt also auf eine durchaus interessante und bewegte Vergangenheit zurück. Ob die Macher sich dieser bewusst sind, sei dahingestellt, ich persönlich würde jedoch vermuten, dass sie wohl eher nur die berühmten found-footage-Filme Blair Witch Project und Cloverfield und nicht den berüchtigten Underground-Streifen Cannibal Holocaust kennen und als Anspielung im Kopf hatten. Alles in allem ist es wirklich ein guter Werbespot, den man sich auch ruhig mehrfach anschauen kann.

Mehr zu Cannibal Holocaust (inkl. ein paar Bildern) gibt es hier zu lesen - zumindest für ganz Mutige. Einen, leider etwas kurz geratenen, Beitrag zum Genre der "found footage" gibt es bei Wikipedia ebenfalls und zwar hier.

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