PoliTick: Bekenntnisse eines deutschen Bummelstudenten
Am 02. Juni 2010 im Topic 'PoliTick'
Ich zähle mich selbst zu den sogenannten "Bummelstudenten", von denen man in letzter Zeit so viel liest und gegen die so viele PolitikerInnen in Don-Quijote-gleicher Manier zu Felde ziehen. Warum ich mich als "Bummelstudent" sehe? Nun, ich bin jetzt im 8. Semester und fange jetzt erst allmählich mit dem Schreiben der Zwischenprüfungen an, die in Studienverlaufsplänen bereits für das 3. oder 4. Semester vorgesehen sind. Laut diesem Plan sollte ich mein Studium inzwischen auch fast abgeschlossen haben, aber soweit bin ich derzeit eben noch nicht.
Doch obwohl ich ein "Bummelstudent" bin, bin ich nicht faul. Ich studiere an der Uni des Saarlandes Germanistik und Anglistik auf Lehramt an Gymnasien. Und das mit Spaß und aus Überzeugung. Jeder, der es hören will, bekommt von mir auch gerne mal erzählt, dass ich "mein Hobby studiere", weil ich mich auch privat sehr für Literatur und Sprachen interessiere.
Aus diesem Grund belege ich an der Uni auch gerne viele Kurse, zwar nicht immer die, die ich laut der Studienordnung bräuchte, aber auf jeden Fall solche, die mich interessieren. Und da bin ich dann auch froh, noch zur "alten" Studienordnung und nicht zur grottenschlecht verschulten "modularisierten" Studienordnung zu gehören. In der bleibt nämlich kein Platz für Kurse, die man, so wie ich es jedes Semester mit Freude tue, einfach mal aus Spaß belegt - und nicht wegen der Jagd nach den verlorenen "Credit Points".
Und da bedanke ich mich dann auch gerne mal bei Germanistik, Anglistik/Amerikanistik und Komparatistik der UdS, die auch mal etwas abseitigere, dafür aber wirklich gute Kurse zu "Einführung in Theorie und Geschichte des Comics", "Sexualität und Literatur", "Terrorismus in der Literatur", "Mystery and Terror in the Writings of Edgar Allan Poe" oder "Deutschsprachige Lyrik aus der Bukowina: Paul Celan und die anderen" gleichberechtigt zu solchen über Goethe, Kafka, Charles Dickens oder Nobelpreisträgerinnen anbieten. Hier zeigt sich, dass die Saarbrücker Literaturwissenschaftler sehr "open minded" sind und auch gerne mal neuere Themen aufgreifen. Solche Kurse belegt man dann doch gerne auch mal nur aus Interesse oder Spaß. Was natürlich nicht bedeutet, dass die "Klassiker" uninteressant wären, im Gegenteil, ich habe auch schon einen Kurs zu "Goethes Lyrik" einfach nur aus Spaß belegt, weil ich fand, dass Goethe zu einem gelungenen Germanistikstudium definitiv dazugehört.
In diesem Semester habe ich die Vorlesung "The Places of Literary History: Regionalism Revisited in U.S. American Literature", die Proseminare "Californian City Stories", "Die Utopie als literarische Gattung", "Einführung in Theorie und Geschichte des Comics" sowie die beiden Übungen "Die femme fatale in Literatur, Musik und Bildender Kunst" und "Unterweltsfahrten" einfach nur aus Spaß und Interesse belegt. Durch die Bank alles gute, interessante und lehrreiche Veranstaltungen, die ich gerne besuche und bei denen mich deshalb zur Anwesenheit auch niemand zwingen muss. Ein Lob an die jeweiligen DozentInnen.
Ich gebe ja gerne zu, dass ich die Belegung manch eines Pflichtkurses auch mal herausgezögert habe, aber dass macht mich noch lange nicht faul, da ich stattdessen oftmals zwei, drei oder sogar vier Proseminare und Vorlesungen rein aus Interesse heraus belegt habe. Ich studiere, weil mir meine Fächer Spaß machen und ich belege so viele Kurse, auch einfach "mal so", weil ich möglichst viel und ein möglichst breit gefächertes Wissen aus meinem Studium mitnehmen möchte.
In der Diskussion über die "Bummelstudenten" zeigt sich, meiner Meinung nach, ein mehr als menschenfeindliches Bild von den Studierenden. Die sollen gefälligst möglichst schnell und möglichst stromlinienförmig ihr Studium durchziehen, damit sie möglichst schnell für die Wirtschaft verwertbar sind. Die gleiche neoliberal-menschenverachtende Ideologie steht auch hinter G8, dass die Schulzeiten mutwillig verkürzt, die Lernbelastung jedoch gleich bleiben, öfter sogar noch ansteigen lässt. Burn-Out-Syndrom und andere psychische Erkrankungen kommen unter SchülerInnen und Studierenden deshalb immer häufiger vor, einziger Gewinner sind private und kommerzielle Nachhilfe-Institute, die gegen viel Geld das nachholen, was im auf die Wirtschaft ausgerichteten Bildungssystem nicht mehr möglich ist.
Da stellt sich dann die Frage: Müssen wir uns wirklich von der Wirtschaft vordiktieren lassen, wie lange wir bis zum Abi zu brauchen haben, oder wie lange ein Studium sein darf? Persönliche Entfaltung von Interessen, Fähigkeiten und Talenten wird in einem solch regulierten Bildungssystem nicht geben. Letztendlich gehen wir damit sogar einen Schritt zurück in die Vergangenheit, noch vor die Aufklärung, die Kant immerhin als "Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit" definiert hat. Das halte ich für absolut fatal.
Nicht alle "Bummelstudenten" sind faul, ich selbst bin teilweise von 8:00 bis 16:00 Uhr an der Uni und habe gleich vier Kurse, von denen ich dann drei "einfach nur so" und aus Spaß mache, darüber hinaus bin ich jeweils noch eine Stunde mit dem Bus hin und zurück unterwegs. Macht insgesamt einen 10-Stunden-Tag. Wer da "Bummelstudenten" noch als "faul" beschimpft, der soll doch bitte noch ein Mal nachdenken.
Natürlich gibt es auch Ausnahmen und es gibt faule Studierende, die im 30. Semester immer noch nicht ihre Grundkurse absolviert haben und ihr Studium vmtl. auch nie (erfolgreich) beenden werden. Aber dass wegen dieser Ausnahmen gleich alle Studierenden in Sippenhaft genommen werden, finde ich geradezu widerwärtig.
Die meisten Studierenden, gerade in den Geisteswissenschaften, sind voller Tatendrang, voller Idealismus und studieren aus Spaß an der Sache. Dass auch all diesen engagierten Studierenden von Medien und PolitikerInnen die Keule mit der Aufschrift "Bummelstudenten" mit voller Wucht über den Kopf gezogen wird, zeigt, dass seitens der Verantwortlichen in der Politik gar kein richtiges Interesse daran besteht, sich mit der wirklichen Situation der Studierenden zu befassen. Stattdessen betreibt man die Amerikanisierung des deutschen und europäischen Bildungssystemes, obwohl eigtl. bekannt ist, dass gerade die USA nicht gerade mit dem Besten Bildungssystem aufwarten können.
Statt die Schul- und Studienzeiten mutwillig zu verkürzen, sollte viel mehr die freie Entfaltung der jungen Menschen gefordert und gefördert werden. Keine starren, verschulten Stundenpläne, sondern nach Interessen selbst zusammenstellbare. Nur so lernen Studierende auch Eigenverantwortung. Ansonsten werden die Unis nur zum Wurmfortsatz der Schulen, der sich irgendwann, genau wie beim menschlichen Körper, entzündet und amputiert werden muss. Lassen wir es nicht so weit kommen. Dann vlt. lieber doch ein bisschen "bummeln", frei entfalten und lange gesund bleiben.