TiRos Blog
GlotzGedanken: TV-Werbungen und ihre "Tiefenstruktur"
Am 31. Mai 2010 im Topic 'GlotzGedanken'


Wer TV-Werbungen nicht einfach "wegzappt" oder zur wohlverdienten Pinkelpause nutzt, der kann bei näherer Betrachtung auch in etwas vermeintlich Simplem wie einem Werbespot durchaus interessante Tiefenstrukturen erkennen.

Beruf statt Job:

In einer Werbung für Überraschungseier der Firma Kinder(schokolade) Ferrero hat in den letzten Wochen und Monaten ein gewisses Detail immer wieder meine Aufmerksamkeit erregt und mich geradezu fasziniert. Der Direktor einer fiktiven Schokoladenfabrik, die sehr stark an die aus einem gewissen Buch des Schriftstellers Roald Dahl bzw. dessen beiden Verfilmungen erinnert, führt "der Direktor" mehrere Angestellte durch eben diese Fabrik und erklärt am Ende der Werbung, dass er seinen Beruf liebe. An sich ist diese Werbung nichts Besonderes. Aber für mich liegt das Besondere darin, dass der fiktive Direktor und damit auch die Autoren, die hinter dieser Werbung stecken, ganz bewusst das Wort "Beruf" benutzen. Und nicht das aus dem Englischen entlehnte "Job", dass das Wort "Beruf" immer mehr zu verdrängen scheint.

Zunächst einmal: ich habe als Anglist generell nichts gegen die Übernahme englischer Wörter in das Deutsche. Oft genug ist uns noch nicht einmal bewusst, dass Wörter wie etwa "Streik", "Keks" oder Schal" ursprünglich von ihren englischen Gegenstücken "strike", "cakes" oder "shawl" kommen. Doch bei den genannten Wörtern "Beruf" und "Job" besteht dann doch ein deutlicher Bedeutungsunterschied, der den Menschen gar nicht bewusst ist.

Die englische Redewendung "just a job to do" bedeutet im Deutschen etwa "jemand muss es halt machen". Es dürfte für jeden klar erkennbar sein, dass diese Redewendung eine deutliche negative Konnotation hat. Wenn dies dann auch noch in die Alltags- und insbesondere in die politische Sprache Einzug hält, dann geht damit eine Abwertung des bisherigen Begriffes "Beruf" einher. Mini-Jobs, Midi-Jobs, 1-€-Jobs, 400-Euro-Jobs. Aus ernsthafter Arbeit, die man gerne und aus Überzeugung ausübt, werden "Dinge, die jemand halt machen muss".

Umso erfreulicher ist die Tatsache, dass man sich gerade in der oftmals zu stark und zu starr anglisierten Werbewelt (man denke nur an den Douglas-Klassiker "Come in and find out", den bis heute kaum jemand sinngemäß richtig übersetzen kann) ab und an doch an den mitunter ganz erheblichen Bedeutungsunterschied zwischen englischen und deutschen Wörtern erinnert und lieber das sinngemäß Passendere aus der eigenen Muttersprache wählt.

Frauenmund tut Wahrheit kund:

Interessant ist ebenfalls eine Werbung der Sparkasse, in der sich der Vorstand/Aufsichtsrat der fiktiven und mit einem sprechenden Namen versehenen 08/15-Bank trifft und über Mittel zur Behebung des enormen Kundenverlustes berät.

Einer der vielen grauen Männer aus der Runde bringt den Vorschlag mit dem Verteilen bunter Fähnchen, der vom Rest der Versammlung einigermaßen zustimmend zur Kenntnis genommen wird. Dann kommt der große Auftritt der einzigen Frau in der Runde, die vorschlägt, die Sparkassen und deren Erfolgsrezept nachzuahmen, was zunächst noch auf Wohlwollen stößt, dann aber doch schnell wieder abgelehnt wird, als erkennbar wird, wie hoch sowohl der finanzielle als auch der personelle Aufwand dieses Vorschlages sind.

Zwar "siegt" in diesem Spot vordergründig ein Mann mit einem geradezu naiv-dümmlichen Vorschlag, eigentlicher Sieger ist jedoch die einzige Frau der Runde, die mit einem guten Vorschlag beim Zuschauer punkten kann. Bei näherem Betrachten, insbesondere aus der Gender-Perspektive, fällt einem dann auf, dass es durchaus interessant ist, dass der vernünftigste und beste Vorschlag von einer Frau, noch dazu der einzigen des Aufsichtsrates kommt.

Gerade in einer Zeit, in der erfreulicher Weise auch in der Öffentlichkeit wieder über Frauenquoten für Führungsgremien der Wirtschaft sowie "equal pay", also gleiche Bezahlung von Frauen und Männern für gleiche Arbeit, diskutiert wird, spiegelt dieser Werbespot die tatsächlich vorherrschende Situation in deutschen Aufsichtsräten auf eine wirklich gelungene Art und Weise wieder. Frauen sind dort nämlich kaum und wenn, dann wie im TV-Spot, meist nur als Einzelkämpferinnen unterwegs und können sich aus dieser schwachen Position heraus selbst mit guten Vorschlägen nur schwer gegen ihre männlichen Kollegen durchsetzen. Insofern stellt der Werbespot auch eine interessante Parabel über die Struktur deutscher und internationaler Aufsichtsräte dar, denen etwas mehr Frauenpower ganz bestimmt sehr gut tun würde.

Fazit:

Es zeigt sich, dass eine genauere Betrachtung manches Werbespots durchaus interessante Tiefenstrukturen zu Tage fördern kann. Werbung kann mitunter also doch intelligenter und besser sein als ihr Ruf.

EDIT:

Von Twitter-User saarlandundmehr ( http://twitter.com/saarlandundmehr ) gab es noch ein paar Ergänzungen, die ich hier gerne anfügen möchte:

saarlandundmehr: "Ich meine mich zu erinnern, dass der Schoko-Direktor in einer frühen Fassung des Spots mal vom Job sprach."

saarlandundmehr: "Für schlechte Jobs hat sich im Englischen übrigens der "McJob" durchgesetzt - sehr zum Mißfallen einer gewissen Fastfood-Kette."

saarlandundmehr: "Und zum grandiosen Sparkassen-Spot fällt mir nur noch das hier ein: http://youtu.be/92C3Qwsduzw :-D #fdp"

Wenn das stimmen sollte, dass in dem Spot zunächst tatsächlich "Job" statt "Beruf" benutzt wurde, würde das meine These mit der Tiefenstruktur ja untermauern, da dann offensichtlich auch bei den Verantwortlichen jemand den Bedeutungsunterschied bemerkt hat.

Zum Extra3-Spot über die "Fähnchen-Dreh-Partei" muss man nicht mehr allzu viel sagen - gelungene Satire, wie immer.

EDIT2:

mwanke ( http://twitter.com/mwanke ) hat mich bei Twitter darauf hingewiesen, dass die Schokofirma natürlich Ferrero heißt und "Kinder" nur ein Markenname ist. Vielen Dank dafür!

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