TiRos Blog
Mittwoch, 7. Dezember 2011
PoliTick: Die SPD und die Vorratsdatenspeicherung
Am 07. Dezember 2011 im Topic 'PoliTick'


Die SPD hat sich auf ihrem Bundesparteitag für die Vorratsdatenspeicherung entschieden. Die Abstimmung war zwar knapp, dann aber doch eindeutig. Das ist bedauerlich, weil es eine vertane Chance darstellt.

Vor der Abstimmung gab es eine gute Debatte mit vielen gelungenen, aber auch unsäglichen Redebeiträgen. Besonders hervorgetan hat sich aus meiner Sicht der Bonner Bundestagsabgeordnete Ulrich Kelber, der die VDS mit Ausweiskontrollen in Fußgängerzonen und dem Abfotografieren aller Autokennzeichen verglich. Von den Befürwortern kamen abgenutzte Totschlagskeulen wie Kinderpornos, Nazis und Terrorismus, die man offensichtlich nur im Internet und nirgendwo sonst bekämpfen kann. Aber immerhin sind diese Argumente noch einigermaßen stichhaltig. Dass der Staat die Daten haben darf, weil die Leute sie Google und Facebook sowieso geben, ist Quatsch. Und dass der deutsche Staat die Daten haben muss, weil die CIA sie sowieso hat, grenzt an Verschwörungstheorien. Ich habe fast eine Erwähnung der Illuminati vermisst.

Es ist wahr, Facebook und Google sammeln Daten und verkaufen diese teilweise auch. Aber zu einem gewissen Grad entscheidet der Nutzer hier selbst, welche Informationen er in (s)ein Profil einstellt und mit anderen teilt. Der Nutzer hat also einen gewissen Mindest-Einfluss darauf, welche Daten bei Google und Facebook landen. Bei der VDS gilt das nicht. Niemand weiß, welche Daten bundesdeutsche Behörden schon jetzt abrufen, speichern und auswerten. Dass Regierungsbeamte private Chat-Konversationen mitlesen oder mittels Handyortung Bewegungsprofile von Menschen erstellen könnten und das vielleicht bereits schon tun, stellt für viele zurecht eine beängstigende Vorstellung dar. Big Brother is watching you, 1984 scheint näher als man denkt.

Die Vorratsdatenspeicherung stellt alle unter Generalverdacht. Auch wenn Thomas Oppermann dies bestreitet, ist es einfach ein Fakt. Warum möchte der Staat alle Daten haben? Weil theoretisch jeder ein Verbrecher sein könnte, zumindest wenn man das Hauptargument der VDS-Befürworter ein wenig weiterdenkt. Wenn ein Staat seinen Bürgern bzw. Einwohnern mit einem solchen Grundmisstrauen entgegentritt, ist es nur verständlich, dass auch die Bürger dem Staat gegenüber argwöhnisch werden. Aber ob das der Hauptgrund für diese Datensammelwut, diese regelrechte Geilheit, alles erfassen und kontrollieren zu wollen, ist durchaus zu hinterfragen.

Schon jetzt zeigt sich, dass skrupellose Beamte mit Bayern- und Bundestrojanern sich die Möglichkeit offenhalten, sogar Mikrofone und Kameras von Computern anzuzapfen, was die Totalüberwachung einer Wohnung bedeuten würde. George Orwell drängt sich da schon wieder auf.

So sehr ich mich über die Entscheidung auch geärgert habe, ist sie letztendlich doch nur ein Stolperstein auf einem langen Weg. Neun Anträge gegen die VDS, nur einer dafür. Eine gute Debatte, bei der die VDS-Gegner klar die Mehrheit und vor allen Dingen die besseren Argumente hatten. Die Abstimmung über den Antrag war so knapp, dass sie wiederholt werden müsste, weil beim ersten Mal nicht genau zu erkennen war, wie die Mehrheitsverhältnisse sind. Wenn die Entscheidung auch ein Rückschlag war, hat sie doch gezeigt, dass Netzpolitik und die Netzpolitiker als solche in der SPD immer mehr an Einfluss gewinnen. Der Parteitagsbeschluss steht jetzt erst einmal, ist aber definitiv nicht in Granit gemeißelt. Schon auf dem nächsten Bundesparteitag kann der Beschluss kippen.

Die Netzpolitiker innerhalb der SPD sind natürlich enttäuscht, nehmen den Parteitag aber auch als Ansporn. Offensichtlich besteht noch viel Aufklärungsarbeit, weil mit Sicherheit einige nicht genau verstanden hat, welche Implikationen die VDS alle mit sich führt.

Die Piraten lachen sich einen, verstehen aber nicht, dass die SPD eben nicht die Partei der "digital natives" ist. Obwohl das Internet keineswegs neu ist, ist es für viele ältere Parteimitglieder immer noch ein neues und fremdes Medium, dem sie skeptisch gegenüber stehen. Und wenn dann das Schlagwort vom "rechtsfreien Raum" fällt, dann fühlen sie sich gleich angesprochen. Hier muss Netzpolitik ansetzen und deutlich machen, dass das Internet schon jetzt kein rechtsfreier Raum ist. Bei Twitter macht derzeit ein Tweet die Runde, dass man erst versuchen solle, sich ein deutsches Musikvideo bei YoTube anzuschauen, bevor man über den rechtsfreien Raum debattiert. Das ist absolut zutreffend, denn schon jetzt lässt die GEMA ständig Videos sperren, selbst wenn nur Sekundenschnipsel eines Songs darin enthalten sind. In einem rechtsfreien Internet wären die Videos frei verfügbar.

Ich habe mich über die Entscheidung geärgert, stehe jedoch dem Shitstorm der aus dem Piratenlager kommt, fassungslos gegenüber. Die einen wollen die SPD verbieten, andere gleich alle SPD-Mitglieder erschießen. Ich persönlich frage mich da ja, ob bei manchem Piraten die frühere NPD-Mitgliedschaft wirklich nur eine "Jugendsünde" war, mal abgesehen davon, dass es lächerlich ist, wenn 20-Jährige von Jugendsünden sprechen, wenn diese kaum zwei Jahre zurückliegen. Die Geschichte der SPD ist entweder nicht bekannt oder wird ignoriert, der Name Otto Wels ist den meisten vermutlich ein Fremdwort. Und die latente Aggressivität, wenn nicht sogar offene Gewaltbereitschaft, sollte den Piraten auf jeden Fall zu denken geben. Politische Diskussionen in einem solchen Ton zu führen, hilft nicht, wenn man tatsächlich ernst genommen werden will.

Noch mehr als diese dummen Gewaltaufrufe nerven mich jedoch Posts von SPD-Mitgliedern. Wenn da ein knapper Parteitagsbeschluss ausreicht, dass man die gesamte Partei mit Häme überschüttet und besser jetzt als gleich aus ihr austreten will, frage ich mich, was man überhaupt je in dieser Partei wollte. Schnelle Allheilmittel bietet keine Partei und ändern kann sich eine Partei nur von innen. Oft müssen dicke Bretter gebohrt werden, bevor eine Position angenommen wird. Bei der Vorratsdatenspeicherung trifft genau das zu.

Wenn man die Flinte so schnell ins Korn wirft, obwohl nur eine Schlacht, aber eben nicht der Krieg verloren wurde, um das Phrasenschwein mal ordentlich zu füttern, dann hält sich die eigene Motivation aber in sehr eingeschränkten Grenzen. Der Parteitagsbeschluss ist eine Momentaufnahme. Die Mehrheit der SPD ist offensichtlich noch für die Vorratsdatenspeicherung. Ich bin mir aber sicher, dass sich das in absehbarer Zeit ändern wird. Die Netzpolitiker müssen jetzt am Ball bleiben und mit Argumenten überzeugen. Ich persönlich habe mir jedenfalls genau das zur Aufgabe gemacht.

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