TiRos Blog
Mittwoch, 25. September 2013
PoliTick: Geheuchelte Gleichheit in der SPD - Chancengleichheit leben, nicht nur labern
Am 25. September 2013 im Topic 'PoliTick'


Ich hatte heute ein ganz besonderes Erlebnis. Nachdem ich mir ein Video angesehen hatte, in dem namhafte Bundestagsabgeordnete wie Franz Müntefering, Heidemarie Wieczorek-Zeul oder Wolfgang Thierse, die künftig nicht mehr Teil des Parlamentes sein werden, sich an ihre Arbeit zurückerinnern, durchstöberte ich den YouTube-Kanal der SPD-Bundestagsfraktion.



Dort stieß ich auf ein Video, welches mit "Sexismus wächst durch männerdominierte Machtstrukturen" betitelt ist. Rundherum befinden sich Videos, in denen ausnahmslos alte, weiße Männer zu sehen sind.



Der wiedergewählte Fraktionsvorsitzende Frank-Walter Steinmeier verkündete Folgendes via Facebook:

"Gemeinsame Fraktionssitzung mit den alten und neuen Abgeordneten. Toll, wie voll unser Fraktionssaal endlich wieder ist. Und unsere Fraktion ist weiblicher, jünger und bunter geworden. Freue mich auf die Zusammenarbeit!"

Die Fraktion ist weiblicher, jünger und bunter geworden. Schade nur, dass sich das nicht auch in der Fraktionsspitze zeigt. Dort stehen mit Frank-Walter Steinmeier und Thomas Oppermann die gleichen Männer, die diese Posten auch schon vor der Wahl ausübten.

Die neue, deutlich veränderte Fraktion feiert 42 % Frauenanteil, den mit 26 Jahren jüngsten Bundestagsabgeordneten Mahmud Özdemir aus Duisburg sowie den ersten afrikanisch-stämmigen MdB Dr. Karamba Diaby. Diese bunte Vielfalt ist auch ein Grund zu feiern, keine Frage. Nur darf es nicht bei bloßen Lippenbekenntnissen bleiben.

Wieso steht keine Frau an der Spitze der Fraktion? Die Grünen haben seit Jahren einen quotierten Fraktionsvorsitz. Und wenn es schon nicht für die Spitze reicht, wieso haben wir keine parlamentarische Geschäftsführerin? Natürlich wird es wieder dutzende stellvertretende Fraktionsvorsitzende geben, was ein netter Titel ist, der letztendlich jedoch von eher geringem Belang ist.

Die SPD darf nicht länger eine Partei alter, weißer Männer sein. Wir haben viele engagierte und fähige Frauen in unseren Reihen. Wir waren stolz darauf, einst mit Heide Simonis die erste Ministerpräsidentin zu stellen. Jetzt präsentieren sich CDU und CSU in der Berliner Runde jeweils mit einer Spitzenkandidatin, während alle drei linken Parteien durch einen Mann vertreten werden. Verkehrte Welt.

Künftig müssen Frauen wie Manuela Schwesig, Hannelore Kraft, Malu Dreyer oder beispielsweise die Berliner Bundestagsabgeordnete Eva Högl eine deutlich stärkere Rolle einnehmen. Nicht nur als stellvertretende Parteivorsitzende, was ebenso nichtssagend ist, wie in der Fraktion oder als Quotenfrauen im Team, meistens zuständig für "Gedöhns" (wobei Christiane Krajewski für den Bereich Wirtschaft eine kleine positive Überraschung war, das möchte ich dann eben doch anmerken).

Die Zeit wäre reif für eine Parteivorsitzende und auch für eine Kanzlerkandidatin. Viele favorisieren in dieser Rolle bereits seit Längerem die NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft, aber auch die bereits erwähnte Manuela Schwesig sollte aus meiner Sicht nicht übergangen werden, sondern ganz vorne mitmischen.

Die Parteispitze muss sich insgesamt ändern. Insbesondere fähige Fraktionsmitglieder wie der NSU-Ausschussvorsitzende Sebastian Edathy, der Bonner Umweltpolitiker Ulrich Kelber oder der niedersächsische Netzpolitiker Lars Klingbeil sollten wichtigere Rollen bekommen.

Ich möchte keine überstürzten Rücktritte, aber ich wünsche mir, dass sich die SPD-Spitze, die jetzt bereits zwei Niederlagen bei Bundestagswahlen eingefahren hat, sich der Verantwortung stellt, so wie es die Spitzen bei Grünen und FDP getan haben. Vielleicht wird dann Platz für neue, jüngere, weibliche Gesichter, die möglicherweise auch einen Migrationshintergrund haben und damit die Vielfalt der Partei auch abbilden.

Darüber hinaus brauchen wir mehr innerparteiliche Demokratie. Dass die Ernennung des Kanzlerkandidaten von drei Männern im Hinterzimmer und eben nicht der Partei entschieden wurde, war mehr als lächerlich. Die Basis hat das zähneknirschend akzeptiert, doch die Tatsache, dass sich viele Landesverbände und weitere Gremien derzeit lautstark und öffentlichkeitswirksam (zurecht) gegen die Große Koalition aussprechen, zeigt, dass die Basis gehört werden und mitentscheiden möchte.

Man darf die Parteibasis, die immerhin die Mehrheit der Partei ausmacht, nicht andauernd so vor den Kopf stoßen. Als Kommunalpolitiker weiß ich, wie schwer es ist, die Mitglieder vor Ort zu motivieren, wenn im Berliner Willy-Brandt-Haus mal wieder irgendein Stuss ausgehandelt wurde, der bei Basisbeteiligung so eben nicht zustande gekommen wäre.

Unsere Mitgliederschaft bietet auch eine große Chance. Dort sind so viele verschiedenen Menschen aus unterschiedlichsten gesellschaftlichen Schichten engagiert. Junge und Alte, Frauen und Männer, Migranten, Akademiker und Arbeiter, Azubis und Rentner. Als Kommunalpolitiker ist für mich der interessanteste Aspekt der Politik immer der direkte Kontakt mit den Menschen. Für die Parteispitze sollte der direkte Kontakt zu den Mitgliedern allerhöchste Priorität haben. Ich weiß nicht, welche Themen ich in den Ortsrat einbringen muss, wenn ich nicht die BürgerInnen darauf befrage. Die Parteispitze weiß nicht, welche Dinge als gut empfinden werden und welche völlig schief laufen, wenn sie sich kein regelmäßiges Feedback von den Menschen einholt, die vor Ort den Kopf für die Partei hinhalten und dafür nicht nur verbale Schläge einstecken müssen.

Aktuell stecken ich und mein Ortsverein Göttelborn in der Vorbereitung für die Kommunalwahl im nächsten Jahr. Zusammen mit meinem Ortsvereinsvorsitzenden kümmere ich mich derzeit insbesondere um die Aufstellung der Liste für die Orts- und Gemeinderatswahl im nächsten Jahr. Ich habe verschiedene Menschen darauf angesprochen, ob sie sich vorstellen könnten, nächstes Jahr für die SPD zu kandidieren. Die erstaunliche Reaktion: Alle Antworten fielen absolut positiv aus. Manch einer war überrumpelt, aber durchaus geschmeichelt, dass man ihm eine solche Arbeit zutraut. Bisher hat mir noch keiner der Befragten eine Absage erteilt. Im Gegenteil. Nach einer gewissen Bedenkzeit hat sich bisher jeder dazu entschieden, das Ganze gemeinsam mit uns durchzuziehen. Mancher wird vielleicht sogar in die Partei antreten, andere werden als parteilose Kandidaten für uns antreten. Egal ob Parteimitglied oder nicht, zeigt mir diese Reaktion, dass die SPD in der Bevölkerung durchaus einen Grundrückhalt hat.

Diesen hat man in der Vergangenheit leider beschädigt. Ich bin kein Freund der Agenda 2010, ich kann aber die ewige Hartz-IV-Platte, die insbesondere von "Linken" bereits seit Jahren abgenudelt wird, schon lange nicht mehr hören. Die SPD hat aus den Fehlern der Agenda gelernt und hat viele Verbesserungsvorschläge auch als Themen im Bundestagswahlkampf vertreten. Doch leider fehlt die Glaubwürdigkeit, wenn immer noch Minister aus Schröders Basta!-Regierung die Geschicke der Partei lenken. Auch deshalb sollte an der Spitze ein (Generationen-)Wechsel stattfinden.

Fazit: Die SPD hat gutes Personal, mit dem sie auch glaubwürdig soziale Themen vertreten kann. Nur leider versteckt sie dieses meist in unnötigen Stellvertreterpositionen, statt es ganz nach vorne zu bringen. Wenn die Partei sich ernsthaft verändern möchte, muss das insbesondere beim Spitzenpersonal stattfinden. Dann falle ich vielleicht auch nicht mehr aus allen Wolken, wenn bei YouTube Lippenbekenntnisse gegen Sexismus verbreitet werden, man dann aber doch nur Männern eine echte Chance lässt. Oder wenn man MdBs mit Migrationshintergrund feiert, die Spitze dann aber doch nur aus weißen Menschen besteht. Oder man sich über das Engagement junger Mitglieder freut, der Vorstand sich dann aber doch nur aus angegrauten Personen zusammensetzt.

Gleichberechtigung, Integration oder Jugendförderungen sind keine bloßen Floskeln. Wenn man sich solche Themen in das Programm schreibt, dann muss man auch KandidatInnen aufstellen, die diese Themen glaubwürdig vertreten, weil sie sie tagtäglich leben. Dann klappt es vielleicht auch wieder mit den Wahlgewinnen auf Bundesebene.

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